Stellungnahme Veranstaltungsgesetz 2024
23/09/2024 – An die Magistratsabteilung 36
Betreffend: Stellungnahme zum Gesetz, mit dem das Wiener Veranstaltungsgesetz 2020 (Wr. VG) geändert werden soll
Sehr geehrtes Team der MA36,
als gemeinnütziger Verein, der in der Awareness-Arbeit tätig ist, erlauben wir uns folgende Anmerkungen in Form einer Stellungnahme zu den geplanten Änderungen im Wiener Veranstaltungsgesetz einzubringen:
Wir begrüßen eine Stärkung des Umweltschutzes in der geplanten Novelle. Einen stärkeren Schutz bereits bestehender Veranstaltungsstätten sehen wir ebenfalls als einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung. Wir beurteilen diese Entwicklungen positiv.
Im Bezug auf die in Punkt 19. hinsichtlich § 20 vorgeschlagene Änderung betreffend den Schutz von Räumen würden wir einen Zeitraum von 10 Jahren und 200 Besucher_innen als Richtmaßstab setzen. Damit könnte der dynamischen Raumsituation und damit einhergehenden starken Veränderung von Stadtteilen sowie der Notwendigkeit des Schutzes auch kleiner Veranstaltungsräume ein besserer Rahmen gegeben werden.
Wir sehen es zudem als guten und richtigen Schritt, dass in Bezug auf Schutz vor Gewalt und Diskriminierung neue und konkrete Maßnahmen verpflichtend werden sollen. Zu einzelnen Punkten haben wir Anmerkungen, da es hier – aus unserer Erfahrung in der Praxis – Änderungen und auch Nachbesserungen bedarf.
Bezogen auf Punkt 28. und die geplante Ergänzung des § 26:
§ 26 (5) legt fest, dass bei bestimmten Veranstaltungen mit über 300 Besucher_innen ein Awareness-Konzept erstellt und Awarenessbeauftragte ernannt werden müssen. Die Kriterien für Veranstaltungen sind folgendermaßen beschrieben: „wenn folgende Veranstaltungselemente überwiegend vorhanden sind: musikalische Darbietungen, Tanzfläche, Alkoholausschank und eine Endzeit nach 21 Uhr“.
Wir finden diese Bestimmung der Veranstaltungsarten nicht ausreichend. Es gibt einige Veranstaltungen, die nicht den genannten Kriterien entsprechen, bei denen aber ein Awarenessteam dennoch eine hohe Relevanz haben kann. Als Beispiel können wir hier Konferenzen oder Messen nennen, welche sich auf Themen fokussieren, bei denen die Gefahr von (struktureller) Gewalt und Diskriminierung eine hohe Wahrscheinlichkeit haben (Sexualität, Religion, Ethnizität u.a.). Wir finden es besser, wenn es hier zu einer umfassenderen Regelung kommt. So sollen beispielsweise auch Straßenfeste oder Konzerte mit Sitzplätzen nicht von der Bestimmung ausgenommen werden. Dort kann es ebenfalls zu Gewalt und/oder Diskriminierung kommen, beispielsweise in Pausen oder am Weg zum Platz. Somit sind dort zumindest ab einer bestimmten Personenzahl (wir empfehlen ab 100 Personen) Konzepte notwendig.
Viele Locations in Wien sind in ihrer Veranstaltungsfläche auf unter 300 Personen ausgelegt. Diese Räume sollten nicht pauschal von der Novelle ausgeschlossen sein. Wir fänden es wünschenswert, wenn solche Räume auch ein Awareness-Konzept vorlegen sollen, oder zumindest auf Nachfrage eines vorzuweisen haben. Sehr viele kleine Veranstaltungen finden eben in Räumen mit unter 300 Personen statt, ein wesentlicher Teil von Club- und Feierkultur wäre sonst nicht mit erfasst. Bei unter 100 Personen braucht es dabei nicht zwangsläufig immer Awareness-Personen vor Ort, es sollte aber jedenfalls geregelte Abläufe und Zuständigkeiten sowie eine Strategie zur Abwehr und Prävention von Gewalt und Diskriminierung geben.
Es wird definiert, dass ab 300 Personen eine awarenessbeauftragte Person zu stellen ist. Awareness-Arbeit soll aber aus Qualitätsgründen niemals alleine passieren. Daher soll die geringste Vorgabe mindestens zwei beauftragte Personen beinhalten, um so eine Unterschreitung dieses Standards in der Awareness-Arbeit zu verhindern.
Im Entwurf wird Awareness-Beauftragten die Möglichkeit gegeben während Veranstaltungen auch andere Funktionen wahrzunehmen. Dies stellt eine mögliche Schwächung der Position dar, da es aus unserer Erfahrung keine oder kaum Tätigkeiten gibt, die zu dieser Funktion, sofern sie ernsthaft ausgeführt wird, parallel getätigt werden können.
Wir finden, dass die Vorgabe der Zusammensetzung der Awareness-Teams im Veranstaltungsgesetz nicht auf 50 % Frauen eingeschränkt werden soll. Besser finden wir eine eine Angabe, die besagt, dass mindestens 50 % des Teams aus Frauen, Inter*, trans und/oder nicht-binären Personen bestehen soll. Anders formuliert – nicht mehr als die Hälfte des Teams soll aus Cis-Männern bestehen. Wir wollen zudem anregen, dass Teams so divers wie die gesellschaftlichen Realitäten sein sollen.
Wir würden es begrüßen, wenn dem Gesetz in Hinblick auf die neuen Maßnahmen eine klare Definition von „Awareness“ und damit verbundenen Tätigkeiten und Konzepten zu Grunde gelegt würde. So besteht die einzige klare Regelung bezüglich dessen, was ein Awareness-Konzept leisten soll, im jetzigen Entwurf in dem Satz: „Im Awarenesskonzept ist zumindest eine Rettungskette und deren Auslösung festzulegen“. Dies ist unserer Meinung nach bei Weitem nicht umfassend genug. Awareness-Arbeit ist betroffenenzentrierte Unterstützungsarbeit, bei welcher von Gewalt und Diskriminierung betroffenen Personen parteilich und solidarisch zu Seite gestanden wird, um sie darin zu unterstützen, ihre Definitionsmacht und einen geschützten Raum (wieder) zu erlangen. Dies wird in der jetzigen Fassung nicht deutlich (siehe dazu auch unsere Anmerkungen zu § 31 Abs. 2 Z 11 und 12 unten).
Bezüglich des Punktes 31. § 27 Abs. 4 / Z 6:
Auch bezüglich der Umsetzung der Maßnahmen bedarf es unseres Erachtens nach klarere Regelungen. Die Regelung, dass den Besucher_innen zur Kenntnis zu bringen ist, wie die Rettungskette ausgelöst wird, begrüßen wir. Zudem sollten alle an der Veranstaltung teilnehmenden Personen – inklusive aller bei der Veranstaltung Beschäftigten – generell über das Awareness-Konzept sowie die Standorte und die Erkennbarkeit sowie die Erreichbarkeit der Awareness-Personen informiert werden.
Zu § 31 Abs. 2 Z 11 und 12:
In diesen Absatz wird die Nennung eines Codewortes als Auslösepunkt der Kommunikationskette benannt. Hier darf keinesfalls ausschließlich ein Auslösen über Codeworte definiert werden. Codewörter können bestenfalls ergänzend als Methode in einen Awareness-Konzept festgehalten werden, sind jedoch per se kein qualitatives Merkmal eines guten Konzeptes.
Wir fänden es gut, wenn im Gesetzestext oder als Anhang eine Definition von Awareness mitgegeben wird, da sonst eventuell keine Klarheit über das Konzept und diesem zugrundeliegende Prinzipien gegeben ist. Eine Definition mit der wir u.a. auf Basis der Grundlagenarbeit des Awareness-Instituts arbeiten:
Awareness ist ein Ansatz der Achtsamkeit im Umgang miteinander und ein Bewusstsein für die eigenen und die Grenzen anderer. Der Ansatz wurde von Betroffenen von Diskriminierung und (sexualisierter) Gewalt und ihren Verbündeten entwickelt. Sie schufen als Expert*innen der eigenen Betroffenheit eine gemeinsame Haltung, die aus dem Wissen um Machtverhältnisse entstanden ist.
Im Zentrum von Awareness steht das Wohl der von diskriminierendem, übergriffigem oder grenzüberschreitendem Verhalten betroffenen Person. Damit einher geht eine parteiliche Unterstützung, sofern die betroffene Person dies möchte, um die betroffene Person mit den Folgen der Diskriminierung und (sexualisierten) Gewalt nicht alleine zu lassen. In jedem Fall orientiert sich Awareness-Arbeit an Grundsätzen wie Konsens, Definitionsmacht und den Bedürfnissen der unterstützungssuchenden Personen und stellt solidarisches Handeln in ihrem Sinne her.
Auch hinsichtlich der Implementierung der Maßnahmen wäre es von Vorteil, im Anhang zum Gesetz klare Anleitungen bereitzustellen. Hierin sollen zumindest die wichtigsten Kriterien für die Umsetzung von Awareness-Arbeit auf Veranstaltungen enthalten sein, wie zum Beispiel: niemals alleine Arbeiten, betroffenenzentriertes agieren, nüchtern arbeiten.
Wir sprechen als Struktur, die selbst in der Bildungsarbeit zu Awareness tätig ist, zudem die Empfehlung aus, dass im Veranstaltungsgesetz ein Mindestmaß für einen Schulungsumfang genannt wird. Vergleichbar mit der Erste Hilfe Ausbildung für Betriebshelfer_innen sollte diese Schulung 16 Stunden Umfassen. Innerhalb von 16 Stunden kann eine gute Grundlage von Awareness-Standards sowie ein Wissen zu veranstaltungsbezogener Gewalt und Diskriminierung vermittelt werden. Es sind zudem Weiterbildungen im Ausmaß von mindesten 8 Stunden im Jahr empfehlenswert. Auch bezüglich der Empfehlung von Weiterbildungen fänden wir einen Punkt dazu im Gesetz sinnvoll.
Wir befürworten zudem die Vorlage eines Awareness-Konzeptes in schriftlicher Form, das nicht nur die Rettungskette definiert, sondern auch – ähnlich wie bei einem Kinderschutz-Konzept – konkrete Maßnahmen, welche in der jeweiligen Struktur gegen Gewalt und Diskriminierung gesetzt werden, beschreibt. Dies sollte auch Handlungsabläufe für den Fall enthalten, dass es innerhalb der Struktur zu Gewalt und/oder Diskriminierung zwischen Mitarbeiter_innen kommt.
Die Übergangsfrist von einem Jahr halten wir für gut, jedoch braucht es dazu begleitend ein umfangreiches Maßnahmenpaket, mit dem vor allem auch Schulungen zum Themenfeld gefördert werden können. Insbesondere für gemeinnützige Träger entsteht sonst ein relevanter zusätzlicher finanzieller Aufwand. Ohne ein begleitendes Maßnahmenpaket, das Informations- und Bildungsmaßnahmen beinhaltet, entsteht die Gefahr, dass schlussendlich Awareness-Maßnahmen eher als pro-forma Maßnahmen gesetzt werden und wichtige Grundsätze sowie eine betroffenenzentrierte Praxis potenziell nicht implementiert werden oder verloren gehen.
Abschließend möchten wir ausdrücken, dass wir es ganz grundsätzlich begrüßen, dass die Stadt Wien das Wiener Veranstaltungsgesetz überarbeiten will und wichtige Themen wie Awareness-Konzepte hierbei berücksichtigt und in den Gesetzestext übernommen werden.
Das sind wichtige erste Schritte, die in die richtige Richtung gemacht werden. Es braucht aber noch viel mehr Schritte, die darauf folgen müssen:
– Es muss mehr Geld für Gewaltschutzprävention zur Verfügung gestellt werden.
– Es braucht mehr Geld für feministische und antirassistische und allgemein emanzipatorische Bildungsarbeit.
– Es braucht mehr Geld für Projekte, die sich dafür einsetzen, dass wir alle einen respektvollen und gewaltfreien Umgang miteinander lernen können und es gar nicht erst zu Gewalt und Diskriminierung kommt.
– Es braucht eine umfassende Gewaltschutz- und Antidiskriminierungsstrategie, sowohl auf nationaler als auch auf Landes- und Kommunalebene. Gewalt und Diskriminierung finden nicht nur im Veranstaltungs- und Nachtleben-Kontext statt, sondern immer und überall in allen Räumen und zu allen Zeiten.
Mit solidarischen Grüßen;
AwA* – Kollektiv für Awareness-Arbeit